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Tanzekstase statt Gottesdienst

Tanzekstase statt Gottesdienst

Leon Igel
Unzählige kleine, bunter Glasfenster befinden sich in dem von außen recht unscheinbaren Bau.

Wer auf dem Weg zum Jungbusch durch die G-Quadrate läuft, der übersieht sie schnell: die Trinitatiskirche Mannheim. Unscheinbar wirkt der Betonklotz aus den 1950er Jahren von außen, der in seiner grauen Masse an die Mannheimer Hochbunker erinnert.

Doch stehenbleiben und in das Gebäude gehen lohnt sich, denn zwei Überraschungen warten dort auf den Besucher.

Zum einen ist die Kirche dank unzähliger, kleiner, bunter Glasfenster von innen so verspielt, wie die Fassade von außen abwehrend wirkt. Zum anderen wird in der Trinitatiskirche nicht mehr gebetet, sondern getanzt.

Daria Holme ist die Leiterin des Eintanzhauses. © Fulbert Hauk

Zentrum für zeitgenössischen Tanz

Die alte Kirche wurde zu einem Zentrum für zeitgenössischen Tanz umfunktioniert. Im EinTanzHaus gibt es nun Tanzekstase statt Gottesdienst.

„Als wir hier begonnen haben zu arbeiten, haben wir aus Ehrfurcht vor dem Kirchenraum noch geflüstert“, sagt Daria Holme, die Leiterin des Eintanzhauses. Das habe sich verändert.

Obwohl die alten Kirchenbänke noch immer die Zuschauerreihen bilden und das Taufbecken hinter der Bühne versteckt steht, ist der Sakralbau für alle Beteiligten zum Tanzhaus geworden.

Von außen wirkt die Kulturstätte wie ein Hochbunker. © Lys Y. Seng

Entstanden aus Ideen-Wettbewerb

Erst 2017 ist das frisch gegründete Tanz-Zentrum in den Betonklotz eingezogen, nachdem es einen Ideen-Wettbewerb der Stadt und der Evangelischen Kirche zur Neunutzung der alten Kirche mit zu wenigen Mitgliedern gewonnen hat. Durchgesetzt hat es sich etwa gegen die Idee, ein Hotel in dem Betonbau zu eröffnen, erzählt Daria.

Feste Größe in der Kulturszene

Das Konzept geht auf, in den vergangenen zwei Jahren hat sich das Haus für zeitgenössischen Tanz, das als Verein organisiert ist, als feste Größe in der Kulturszene Mannheims entwickelt. In der Fachzeitschrift „Tanz“ wurde es als „Hoffnungsträger 2019“ genannt.

Mittlerweile beschäftigt es fünf Festangestellte und arbeitet mit zahlreichen Künstlern zusammen. Das Eintanzhaus mit seiner Bühne von 200 Quadratmetern möchte jedoch nicht ein Platz für einige Kultur-Verrückte sein, sondern ein Begegnungsort für die gesamte Stadt.

EinTanzParcours: La Trottier Dance Collective. © Lys Y. Seng

Hoffnungsträger 2019

Aber wie kann das gehen, haftet dem Tanz doch eine Aura des Elitären an? Denn wo auf der Bühne nicht gesprochen wird, fällt das Verstehen schwer.

Insbesondere wenn es sich nicht um klassischen Tanz handelt, der bekannte Geschichten und Sehgewohnheiten bedient (Schwanensee etwa!), sondern um moderne Tanzformen, sind viele Menschen ratlos.

„Viele Menschen haben Angst davor, etwas verstehen zu müssen“, kontert die Leiterin des Tanzhauses. Doch beim Tanz gehe es um Fühlen und nicht um Verstehen. Das, was der Zuschauer wahrnehme, sei gut. „Das können ganz simple Dinge sein“, erklärt Daria, „wie Anstrengung etwa.“

Supermann: La Trottier Dance Collective © Fulbert Hauk
Supermann: La Trottier Dance Collective © Fulbert Hauk

In der Kunst ist der Mensch frei

Das Eintanzhaus möchte mit seiner Arbeit Offenheit gegenüber dem Neuen vermitteln, und diese Idee zieht sich durch das gesamte Haus. Da steht die Kirchentür tagsüber offen und möchte Besucher willkommen heißen.

Bei den Vorstellungen gibt es keine Programmhefte, damit niemand das Gefühl bekommt, er sehe etwas Falsches. Und am Ende einer Vorstellung stehen Tänzer und Publikum gemeinsam an der Bar und sprechen über ihre Erfahrungen.

Daria ist sich sicher: In der Kunst ist der Mensch frei. „Auf diese Freiheit muss man sich aber einlassen“, sagt sie. Es lebe der Mut!

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Ein Blick in den Blumenladen.© Vanessa Müller

Das Eintanzhaus ist eine feste Größe in der Kulturszene geworden. © Fulbert Hauk
Das Eintanzhaus ist eine feste Größe in der Kulturszene geworden. © Fulbert Hauk

Freiheit, Kunst und Begegnung

Und weil das so ist und das Eintanzhaus eben ein Tanzhaus ist, setzten Daria und ihr Team alles daran, möglichst verschiedene Angebote für viele Bedürfnisse anzubieten. Das darf man nicht vergessen, betont die gebürtige Mannheimerin: „Tanz ist Bewegung und das machen wir alle!“

Neben Tanz-Eigenproduktionen und Gastspielen veranstaltet das Haus also Tanzkurse, Workshops oder Disko frühabends auf der Bühne.

Und weil Tanz ja alles ist, ist das Tanz-Zentrum von Konzerten bis Ted-Talks auch ein Ort für Veranstaltungen, die auf den ersten Blick nichts mit Tanz – wohl aber mit Freiheit, Kunst und Begegnung – zu tun haben.

En Passant: Julie picard und Michelle Cheung. © Christian Kleiner

Aus Mannheim nicht mehr wegzudenken 

Die Schwelle zum Betreten hat das Eintanzhaus niedrig gesetzt, für jeden soll etwas dabei sein. Eva-Maria Steinel, die im Eintanzhaus arbeitet, bringt das Konzept des Hauses auf den Punkt: „Reingehen, gucken und dann mal schauen, was passiert!“

Das Eintanzhaus ist damit nah an der Idee eines Gotteshauses, in dem der Mensch willkommen ist, sich selbst zu finden. Das kann beim Beten passieren wie beim Tanzen.

Die Verträge zur Nutzung der Trinitatiskirche laufen noch bis 2022, was danach kommt, ist noch offen. „Wir denken, dass das Eintanzhaus nicht mehr wegzudenken ist aus Mannheim“, sagt Daria und lächelt.

Währenddessen proben auf dem Tanzboden in der Trinitatiskirche zwei Tänzer in Latexanzügen, im Hintergrund leuchten die bunten Kirchenfenster.

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