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Einsatz für eine vielfältige Neckarstadt-West

Einsatz für eine vielfältige Neckarstadt-West

Julia Wadle
Die aktuelle Ausstellung kann man sich im Vorbeigehen ansehen: Sie hängt in den großen Schaufenstern

Der durchdringende Blick von Basant Singh Gill zieht die Aufmerksamkeit der Passantinnen und Passanten schon im Vorbeigehen auf sich.

Auf dem quadratischen, gut 1,5 x 1,5 Meter großen Foto sieht man den älteren Mann in seinem Wohnzimmer sitzend hinter einem Tisch mit Plastiktischdecke, auf dem eine Blumenvase  stehen und Notizzettel bereitliegen. Er blickt direkt in die Kamera, und es fühlt sich an, als betrachte er uns Zuschauer selbst.

Doch warum hängt das riesige Foto fast schaufensterfüllend hier in der Neckarstadt-West an der Ecke Mittelstraße/Laurentiusstraße?

In den Fenster kleben seit der Eröffnung des Centers Aussagen von Anwohnern über die Neckarstadt-West.
In den Fenster kleben seit der Eröffnung des Centers Aussagen von Anwohnern über die Neckarstadt-West. © Julia Wadle

Fotos neu zusammengestellt

Hinter der Ausstellung zum Vorbeilaufen steht die Künstlervereinigung Community Art Center Mannheim. „Wir haben uns überlegt, was wir machen können, um den Kontakt zu den Menschen im Stadtteil nicht zu verlieren, obwohl wir unsere Veranstaltungen coronabedingt absagen mussten“, erklärt Annette Dorothea Weber, Leiterin des Community Art Center.

Annette Dorothea Weber leitet das Kulturzentrum. © Julia Wadle

Kurzerhand beschloss sie deswegen Ende Mai, Bilder der Fotografin Nina Urban aus früheren Ausstellungen (u.a. „Mütter und Töchter“, „Väter und Söhne“) neu zu kuratieren und in die großen Fenster zu hängen, gut sichtbar von außen.

„Wir wollten mit den Bildern zeigen, wie viele verschiedene Menschen hier leben. Jetzt haben wir die Fotografien mit Zitaten der Personen ergänzt, wie es ihnen während Corona ging oder geht“, so Annette Weber weiter.

Von der Mutter, die Masken näht, über einen vormaligen Asylsuchenden, der aus seinem Heimatland Uganda berichtet, bis zum anfangs erwähnten Herrn Singh Gill, der zwischenzeitlich in Kanada gestrandet war und nicht nach Mannheim zurückkehren konnte.

Die großen Fotos stammen aus früheren Ausstellungen, wie hier aus „Living rooms“. © Julia Wadle

Auf November verschoben

Die Ausstellung ist der Versuch, das Beste aus der für Kulturbetriebe schwierigen Situation zu machen. Denn die eigentlich für April geplante Vernissage „Wenn ich Dusche, muss ich weinen“ zu Transsexualität musste wie so vieles abgesagt werden.

„Momentan verschieben wir all unsere Veranstaltungen – nur wohin? Wir haben die Ausstellung jetzt für den November zur Lichtmeile hin geplant und hoffen, dass sie stattfinden kann“, sagt Weber.

Auch ein Projekt der Regisseurin selbst ist konkret von den Maßnahmen betroffen: Die Premiere des von ihr geschriebenen Stücks „keinSTRESS?!“ nach der gleichnamigen Youtube-Serie war für den 2. Mai geplant – auch hier ist für November ein zweiter Anlauf geplant.

Und was aus dem Konzertnachmittag „Musikwelten“ wird, den das Kollektiv seit mehreren Jahren im Sommer auf dem Neumarkt organisiert, steht ebenfalls noch in den Sternen.

Das Gebäude des Community Art Center an der Kreuzung Mittelstraße und Laurentiusstraße. © Julia Wadle

Seit acht Jahren

Für mehr Miteinander und gegen die Ausgrenzung von Gruppen aus der Gesellschaft – diese Motivation verbindet die Künstlerinnen und Künstler des Community Art Center Mannheim.

Nach ersten gemeinsamen Projekten startet das Community Art Center Mannheim 2012 seine Arbeit im Stadtteil, finanziert über Fördergelder von Stiftungen und der Stadt. Neben mehreren festen Mitarbeiterinnen hat das Center in den vergangenen Jahren mit gut 70 Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet, viele davon aus der Neckarstadt-West.

Im Inneren des Centers ist momentan fast leer. In den Kartons werden Teile eines Bühnenbilds gelagert.
Im Inneren des Centers ist momentan fast leer. In den Kartons werden Teile eines Bühnenbilds gelagert. © Julia Wadle

Politisch motiviert

Ihre Arbeit habe immer auch einen politischen Hintergrund, erklärt Dorothea. Ob es in den Projekte um Sinti und Roma, Geflüchtete oder um Geschlechterungleichheiten ging. „Wir wollen mit unseren Formaten auch immer die Möglichkeit zu Begegnung geben, weswegen wir bei einigen Projekten auch mit Schulen kooperieren“, erklärt sie.

Doch was treibt die Regisseurin Annette Dorothea Weber an, sich für den Stadtteil einzusetzen?

„Ich habe lange Zeit hier gewohnt und identifiziere mich immer noch sehr stark mit der Neckarstadt-West. Doch gerade verändert sie sich, ärmere Menschen drohen, verdrängt zu werden. Ich wünsche mir, dass diese Veränderung langsamer läuft und dass die Menschen trotz der hohen Fluktuation im Stadtteil offener werden für gesellschaftliche Veränderungen. Wir wollen den Leuten klarmachen: Du bist kein Opfer – egal, zu welcher Gruppe du gehörst.“

  • Community Art Center Mannheim

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