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Mit Kleidern Geschichten erzählen

Mit Kleidern Geschichten erzählen

Leon Igel
Für ihren Freund ist sie vor acht Jahren in die Quadratestadt gekommen - heute sind sie verheiratet.

Sie hatte „Wanderlust“, erzählt Amy Elizabeth Jarrett. Nach der High-School hat die Kalifornierin eine Sommerschule in Brisbane, Australien, besucht und verliebte sich dort in einen Studenten der Popakademie Mannheim. Für ihn ist sie vor acht Jahren in die Quadratestadt gekommen, heute sind sie verheiratet.

Junge und weltgewandte Generation

Das ist ein internationales Kuddelmuddel, das Amy zur Vertreterin einer jungen, weltgewandten Generation macht, die Mannheim so bereichert. Sie spricht Hochdeutsch, bevorzugt Englisch und wechselt zwischen beiden Sprachen so elegant, wie man es für sich selbst nur wünschen würde.

Im Denken hat sie sich mannheimatisiert, Heidelberg findet sie „so pretty“, aber ihr fehle dort das „innovative feeling“ wie in Mannheim. Die Entwicklung Mannheims der letzten Jahre beschreibt sie als enorm und warum das so ist, ahnt sie auch: „Mannheimer loves Mannheim.“

Auch Amy liebt Mannheim, die Leute, das Barockschloss, die Cafés, manchmal arbeitet die Designerin mit ihrer Nähmaschine sogar dort, vor allem liebt die Designerin aber die Welt und ihre Menschen.

Amy upcycelt Kleider & Stoffe die niemand mehr haben möchte. © Port Amelie
Amy upcycelt Kleider & Stoffe die niemand mehr haben möchte. © Port Amelie

„Jeder Mensch hat eine Fähigkeit, aus der er das Beste für alle machen kann“

Die Dreiunddreißigjährige denkt global, sieht, wie Länder und Leute Raubbau an sich und der Natur betreiben und möchte mit ihrer Arbeit ein Zeichen dagegensetzen. „Jeder Mensch hat eine Fähigkeit, aus der er das Beste für alle machen kann“, sagt sie. Für die studierte Fashion-Designerin ist das die Mode. Sie liebt Stoffe, erzählt sie, die rettet sie vor dem Müll.

Einerseits, indem sie Vintage-Kleider, also Kleider, die älter als 25 Jahre sind, in ihrem Online-Shop Port Amelie verkauft. Andererseits, indem sie Kleider und Stoffe, die niemand mehr haben möchte, upcycelt. Aus einem Oma-Stoff wird so etwa eine Bauchtasche.

Dass das modisch ist, beweist Amy selbst, die beim Gespräch mit ILMA eine ihrer Bauchtaschen mit einem schwarzen Rollkragenpullover kombiniert. Dass die Bauchtasche mal ein Vorhang war, das ahnt niemand. Auch Amy hat das fast vergessen.

Amy E. Jarrett im Gespräch mit ILMA im Café Lauri. Der Pullover ist aus Kaschmier und Second Hand. © Leon Igel

Wo der Stoff herkommt, weiß sie nicht mehr: vielleicht vom Flohmarkt, vielleicht von der Großmutter ihres Mannes. „Seine Großmutter ist ein unglaubliches Materiallager“, sagt sie lachend.

Viele Ressourcen und hoher Arbeitsaufwand für die Herstellung eines Teiles

Aber ist das nicht ein Widerspruch, die Rolle der Mode hervorzuheben und dabei nachhaltig sein zu wollen? Amy denkt bei dieser Frage kurz nach, dann fließen die Sätze nur so aus ihr. „Viele Menschen wissen gar nicht mehr, wie wertvoll ein Kleidungsstück ist“, erzählt sie.

Für die Herstellung eines Teiles werden viele Ressourcen benötigt, auch der Arbeitsaufwand ist hoch. Die Fast-Fashion-Industrie berücksichtige das nicht.

Mit Einsatz von besonderen Stoffe zaubert Amy einzigartige Bauchtaschen. © Port Amelie
Mit Einsatz von besonderen Stoffe zaubert Amy einzigartige Bauchtaschen. © Port Amelie

Mit ihrer Arbeit möchte sie das verdeutlichen und Wert vermitteln. Sie spürt das jedes Mal aufs Neue: Mit allem Drum und Dran brauche sie von der Stoffauswahl bis zum Foto für ihren Online-Shop etwa drei bis vier Stunden für eine einzige Bauchtasche. So etwas könne man also nur aus Leidenschaft machen, und nicht des großen Profits wegen.

In einem Kulturzentrum in Heidelberg bietet sie daher auch Näh-Workshops an, um anderen zu zeigen, wie schön und anstrengend zugleich es ist, Kleider zu reparieren oder selbst zu nähen.

Mit der Teilnahme an einem Näh-Workshop kann sich jeder selbst versuchen. © Port Amelie

Die Lautstärke von Marketing und Werbung

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Teyeger in den Mannheimer Quadraten ist mehr als nur ein Optiker. © Laura Schröder

Eines ist Amy wichtig und das betont sie mehrfach: „Ich bin nicht gegen Konsum, den braucht ja unsere Wirtschaft, aber wir müssen darüber nachdenken, was und wie wir konsumieren.“

Sie spricht über die Lautstärke von Marketing und Werbung in der Gesellschaft. „Man muss in dem ganzen Lärm heraushören, wer man wirklich ist und was einen glücklich macht“, sagt sie.

Wenn ich etwa mit Freunden auf den Planken shoppen gehe, machen mich dann wirklich die neuen Teile glücklich, oder ist es vielmehr die gemeinsame Zeit mit den Freunden? Wer darüber nachdenkt, gehe beim nächsten Mal vielleicht Kaffeetrinken, um sein Bedürfnis nach Zeit mit den Freunden zu decken.

Sie upcycelt alte Kleidungsstücke zu trendigen & modernen Teilen. © Port Amelie

Kleidung bedeutet Erinnerung

Die meisten Menschen haben keine Beziehung mehr zu ihren Kleidungsstücken, findet Amy. „Sie unterschätzen die Rolle von Kleidern. Bei allen wichtigen Schritten in unserem Leben begleiten sie uns“, erzählt sie.

Das Brautkleid oder das T-Shirt, das man von einem Freund geschenkt bekommen hat, Kleider bedeuten Erinnerung. Der Rollkragenpulli, den sie im Gespräch mit ILMA trägt, habe sie gebraucht gekauft und mindestens ein Mal die Woche an. „Immer wenn ich ihn trage, fühle ich mich zuhause“, sagt die Designerin.

Ob nun neu oder Vintage, am Ende beflügelt beides den Menschen, wenn er Kleidungsstücke in den Händen hält, die das Potenzial haben, zum neuen Lebensbegleiter zu werden. Das ist Amys Geschichte, die sie erzählen möchte, und die sie auf ihrer Webseite oder auf Instagram unter gleichem Namen teilt.

  • Port Amelie

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